07.01.2019 von Dr. Jörn Grapp

Es geht darum, zu skizzieren, wie innerhalb eines kompakten Workshops von ca. 1 Std. einer Gruppe von interessierten Menschen der Geist agilen Arbeitens vermittelt werden kann: Was sind die Vorteile von Scrum allgemein? Wie fühlt sich das Arbeiten mit Scrum an? Welche Werte sind für Scrum charakteristisch?

Voraussetzungen

Zur Durchführung des Workshops wird ein Raum ohne Stühle und Tische benötigt, der für max. 8-10 Teilnehmende ausgelegt ist. Die Teilnehmenden sollen sich dort für das Ball Point Game (Quellen u.a. BORIS GLOGER) als interaktive Übung frei bewegen können. Als Material werden benötigt: zu den Agenda-Punkten (Vorteile, Regeln, Punkte-Chart, Debriefing, Werte) passende Flipcharts, ein Flipchart, eine Metaplanwand, eine Kiste mit etwa 150-200 bunten Bällebad-Bällen, eine leere Kiste (beide Kisten z.B. zusammenklappbare Plastik-Einkaufskörbe), dicke Filzstifte, Post-its in mittlerer Größe. Dieser Beitrag als auch der Workshop erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sind selbstverständlich an individuelle Gegebenheiten anpassbar. Hier handelt es sich um einen Erfahrungsbericht, wie dieses Veranstaltungsformat auf dem neuland-Fachtag 2018 stattgefunden hat.

Vorteile von Scrum

Zwar persönlich geprägt, aber sicher sehr wichtige sind …

Einfache Regeln: Der sog. Scrum Flow (teilweise sogar auf Bierdeckel dargestellt von it-agile fasst 5 Events, 3 Rollen, 3 Artefakte zusammen. Das ist schon alles, was Scrum für das agile Arbeiten vorsieht.

Schnelle Ergebnisse: Innerhalb von Iterationszyklen (sog. Sprints von 2-3 Wochen) wiederholt sich der Scrum Flow und hat das Ziel, jeweils ein auslieferbares Produkt-Inkrement zu erstellen. Erlebbare Funktionalitäten, programmierter Code, Darstellung in einer Präsentation etc. werden im Review zum Ende des Sprints von den Entwickelnden selber vorgestellt. Die am Review teilnehmenden Kunden können unmittelbar ihr Feedback geben.

Mehr Transparenz: Alle Meetings sind „öffentlich“ und jeder im Unternehmen, gleich in welcher Rolle, darf daran teilnehmen. Dies gilt, bis auf die sog. Retro(-spektive), die dem Las Vegas-Prinzip folgt. Demnach soll alles in der Retro Besprochene auch in der Retro bleiben und darf auf keinen Fall nach außen (alle Personen, die nicht an der Retro teilgenommen haben) getragen werden. Das ist Voraussetzung für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Ball Point Game als agile Übung

Um auf spielerische Art zu erleben und zu fühlen, wie sich agile Arbeitsweise in etwa anfühlt, gibt es einige Übungen wie das Pizza Game, Scrum mit Lego oder auch das sog. Ball Point Game. Worum geht es dabei?

Durchführung: Die beiden Kisten mit den Bällen werden an die Teilnehmenden ausgegeben, die sich entweder in ein oder mehrere Teams aufteilen. Zunächst schätzt das Team, wieviele Bälle durch es als Gruppe/System voraussichtlich während einer Iteration hindurchgeschleust werden (Estimation). Die Schätzung wird dokumentiert. Dann startet die erste Iteration von 2 Minuten, in der die Bälle durch das System gegeben werden. Danach wird die Anzahl der Bälle dokumentiert (Velocity). Anschließend findet ein 1-minütiger Break statt, der zur Verbesserung in der Teamaufstellung und auch zur neuen Schätzung der Bälleanzahl dient. Dieser Ablauf aus Iteration und Break wiederholt sich weitere 4 Male.

Regeln: Alle im Raum nehmen teil. Einer der Teilnehmenden übernimmt die Rolle der Ballausgabe und -annahme (aus der vollen Kiste an die Teilnehmenden, bis jeder den Ball hatte, und in die anfangs leere, zweite Kiste). Start- und Endpunkt sind also gleich. Der Ball muss bei Übergabe in der Luft sein und darf nicht zum direkten Nachbarn gegeben werden. Es gibt 5 Iterationen insgesamt.

Werte als Kern von Scrum am Beispiel des Ball Point Games

Zunächst wird das während des Ball Point Games Erlebte nochmal gemeinsam bei einem Debriefing reflektiert: Was ist während der Übung passiert?, Welche Iteration fühlte sich am besten an?, Wo war agiles Vorgehen/Scrum fühlbar? Dies geht über in eine gemeinsame Diskussion, wo die tatsächlichen Werte von Scrum (Commitment, Fokus, Offenheit, Respekt, Mut) im Spiel spürbar geworden sind und inwiefern sie im praktischen Zusammenarbeiten wichtig sind. Wo findet sich also die allgemeine Auseinandersetzung mit den Werten konkret im Ball Point Game wieder? Der „Trainer und Coach für agile Softwareentwicklung Henning Wolf ordnet die Werte wie s.u. ein“. Beim Ball Point Game werden diese Werte real und vereinfacht erlebbar.

Commitment:
"Das Commitment des Teams und des Managements sind nötig, damit Dinge wirklich angegangen werden und wirklich erledigt werden mit voller Energie. Das Team versucht nicht nur das Sprintziel zu erreichen, es ist darauf committet!“
Der Moderator fragt die Teilnehmenden, so dass eine gemeinsame, von allen getragene Schätzung der voraussichtlichen Bälleanzahl des nächsten Durchlaufs vorliegt. Wenn die Schätzungen deutlich voneinander abweichen, dann sollen die Teilnehmenden ihre jeweils geschätzte Bälleanzahl begründen. Beim ersten Durchlauf handelt es sich noch um gefühlte Werte ohne Erfahrungen. Ab der zweiten Iteration basieren die Schätzungen dann schon auf Erkenntnissen der ersten Iteration usw. Niedrigere Schätzungen werden z.B. darauf zurückgeführt, dass relativ viele Bälle runterfallen oder höhere, dass mehr Blickkontakt das gezieltere Zuwerfen und Auffangen ermöglicht. Letztlich müssen die Teilnehmenden gemeinsam daran glauben, dass es so oder anders mit dem Erreichen der committeten Bälleanzahl funktionieren wird, um aus dieser Überzeugung heraus zu agieren.

Fokus:
"Erfolgreich kann man nur sein, wenn man sich auf seine Aufgabe fokussiert (und auch ein Commitment ohne Fokus ist vermutlich nichts wert.“
Selbst wenn eine gemeinsame Schätzung der Bälleanzahl seitens der Teilnehmenden vorliegt, gilt es natürlich, sich während der Iteration mit voller Konzentration und auf effektive Weise die Bälle zuzuwerfen. Damit ist gemeint, dass die Bälleschätzung nur dann erreicht oder sogar übertroffen werden kann, wenn auch praktisch alle beschlossenen Maßnahmen zur Zielerreichung von den Teilnehmenden umgesetzt werden. Beispiel dafür sind u.a. die räumliche Aufstellung der Teilnehmenden, die Positionierung der Kisten für Bälleausgabe/-entgegennahme, der Wurfwinkel, der angesprochene Blickkontakt, die Wurffrequenz etc.

Offenheit:
"Gerade für Wissensarbeit gilt, dass Offenheit mehr Optionen schafft und eine größere Chance darauf bietet, dass man gemeinsam eine bessere Lösung findet. Es sollten auch alle wissen, was gerade das größte Problem ist, damit jeder zur Lösung beitragen kann.“
Die zuvor angesprochenen Maßnahmen werden meistens erst mit zunehmender Erfahrung und im Verlauf des Ball Point Games von den Teilnehmenden im Sinne von Optimierungen angegangen. Während der Breaks zwischen den Iterationen diskutieren die Teilnehmenden idealerweise solche und weitere Anpassungsmöglichkeiten. Damit solche Vorschläge aber überhaupt geboren werden und zur Diskussion gestellt werden, sorgt der Moderator durch Nachfragen dafür, dass ein offener Austausch angeregt wird: Was meint Ihr, an welcher Stelle es noch nicht ganz rund läuft (z.B. Bälle fallen vermehrt runter)? Was könnte noch verändert werden in der Teamaufstellung? Gibt es etwas, das zur Beschleunigung Eures Ablaufs beitragen kann? o.ä. Der Moderator regt durch Fragen lediglich zum offenen Austausch an. Die Ideen müssen dann von den Teilnehmenden selber entwickelt werden.

Respekt:
"In gewisser Weise ist Respekt eine Voraussetzung für Offenheit. Denn nur, wer sich respektiert fühlt, wird auch offen zu seinen Schwächen stehen können.“
Jeder Vorschlag sollte dabei willkommen sein und verdient es, diskutiert zu werden. Nichts ist zu abwegig, um es nicht wenigstens einmal gemeinsam zu durchdenken. Keine Idee darf einfach ignoriert oder abgewiesen werden. Dieses Selbstverständnis ist die Basis eines respektvollen Umgangs miteinander. Der Moderator hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das zwischen den Teilnehmenden tatsächlich gelebt wird. Ist das nicht selbstverständlich, dass Menschen (in einem professionellen Umfeld) sich diesen Respekt entgegenbringen? Nein, leider nicht ohne Weiteres. Denn in jeder Organisation (egal ob Firma, Abteilung, Team) und auch nur für die Dauer des Ball Point Games finden gruppendynamische Prozesse („Teambuilding“) statt. Dabei bildet sich z.B. Führung heraus. Einzelne Teilnehmende werden sich u.a. aufgrund ihrer originären Rolle im Unternehmen (z.B. Teamleiter) dominanter oder aufgrund ihres Charakters (z.B. eher zurückhaltend) unterordnend beteiligen. Der Moderator stellt eine „Kultur des Fragens“ (anstatt des „Sagens“) sicher. Möglichst nur hinterfragte und begründete Vorschläge werden dann als entsprechend „klügere“ und allseits respektierte Maßnahmen umgesetzt.

Mut
"Offenheit, Veränderung und das Ansprechen von Problemen benötigt Mut. Zudem benötigt auch der Einsatz von Scrum Mut, weil man die vielen Vorteile von Scrum nicht ohne den Nachteil großer kultureller Veränderungen in der Organisation bekommt.“
Die Scrum Werte sind eng miteinander verwoben und stehen im Zusammenhang zueinander. Nicht jeden Wert können wir vielleicht zu jedem Zeitpunkt komplett ausfüllen und leben. Bereits über das Ball Point Game wird jedoch deutlich spürbar, inwiefern es sich lohnt, dass wir uns daran zumindest orientieren und gegenseitig immer wieder auch daran erinnern. Dann, und wenn wir es gemeinsam wirklich wollen, wird der Spirit von Scrum wirksam werden, arbeiten wir besser zusammen, erzielen qualitativ und quantitativ höherwertige Ergebnisse!

neuland bietet diesen und weitere Workshops auch interessierten Unternehmen an, die sich zum Einstieg in das agile Arbeiten mit wesentlichen Basics vertraut machen möchten. Darüber hinaus kann die Agenda und der Ablauf des Workshops auch um Elemente angepasst werden: z.B. Prinzipien von Scrum, Agiles Manifest, Scrum Flow, Rollen, Artefakte, Durchführung agiler Meetings, insbesondere auch Moderation von Retrospektiven u.v.a.m. Kontaktieren Sie uns gern unter workshops@neuland-bfi.de. Für erste Informationen stellen wir den Kontakt zu den Agilen Coaches von neuland her.